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Auf Wiederhören: La Chanson

Österreich singt Französisch. Irgendwie interessant –  50 Jahre nach Udo Jürgens. Diesmal voll und ganz. Es ist ja auch typisch und hat bereits mit einem angehauchten Merci, Chérie für unvergessenen Erfolg gesorgt. Im Grunde ist es schön, wenn der Songcontest von der Vielfalt der europäischen Sprachen lebt. Wenn nicht alles im Einheitsenglisch zelebriert wird. Wie gut hat es getan, als sich mir mit dem Französisch nicht nur eine neue Tür, sondern eine ganze Welt aufgetan hat. Als man an CDs und Computer noch nicht im Entferntesten dachte, gespannt auf seine Radiosendung wartete, um sie mit Tonbandkassette (!) aufzunehmen.  Vielleicht erinnert sich noch wer daran: Das war das rechteckige Plastikding mit den Zahnradlöchern. Es passte schön ein Bleistift durch, mit dem man das sich gern verheddernde Band wieder zurechtspulen konnte. Gespannt wartete ich auf das “Bonsoir, das ist La Chanson”Die Sendung war entweder unterschiedlichen Themen oder unterschiedlichen Liederkomponisten gewidmet. Melodisch vorgetragen, in eine lyrische Geschichte verpackt, standen Liederkomponisten wie Georges Brassens, Jacques Brel oder Serge Gainsbourg und unterschiedliche Themen auf dem Programm. Ich lag auf dem großen Teppich auf dem Bauch, neben dem etwas schnarrenden Kastenradio und ich hörte zu. Pierre Bachelet schlüpfte diesmal in die Rolle von Vincent van Gogh, der verzweifelt seinem gut situierten Bruder Théo schreibt. Vom ehemaligen Künstlerfreund Paul Gauguin entfremdet, sitzt er, pekunär verdorrt (“deux sous pour le pain/ trois sous pour le vin”)  und gesundheitlich angeschlagen (“Le médecin me dit que c’est difficile”) im südlichen Arles. Er schreibt vom Tief seines Lebens (“du fond de ma vie”), vom Tief seiner seiner Verrücktheit (“du fond d’ma folie”), die man ihm attestiert hat, als er sich nach heftigem Zerwürfnis mit Paul Gauguin das linke Ohr abgeschnitten hat. Er schreibt. Er schreit! Er schreit! Er kann die Sonne nicht mehr sehen, die ihm Angst macht (“J’ai mal au soleil”). Die Sonne, von der er nicht los kommt und der die Menschen keine Beachtung schenken. Sein Ohr tut ihm weh (“J’ai mal à l’oreille”). Und sein Leben. (“J’ai mal à ma vie”). “Signé Vincent” verhallt im Raum, um für immer bei mir zu bleiben. Es war zugleich eine der letzten Sendungen von “La Chanson”. Das Gute geht immer zu früh und man vermisst es immer. Ich drückte auf die Stopp-Taste. Die Kassette hörte auf zu laufen. Auf Wiederhören, la Chanson.

Dann wurde aus dem eckigen Zentrum des Höreruniversums eine dünne, runde Scheibe mit schillernder Rückseite. Sie kostete damals im Schnitt hundert Schilling (das sind zirka siebenkommanochwas Euro). Sie wurde mir Souvenir. Mein Rénaud kommt von den Champs-Elysées. Lange, nachdem es still geworden, es einem im Glauben verharren ließ, das Chanson sei gänzlich ausgetrocknet, bekommt es ein neues, schillerndes Gesicht mit drei Buchstaben: ZAZ. Archäologisch wischt sie den Staub über den großen Klängen weg, sammelt ihre Überreste ein und fügt sie zu einem farbenfrohen Mosaik zusammen. Sie macht Neues, sie macht Eigenes daraus. Sie erinnert und wagt neue Schritte, ohne, zusammengehalten von ihrer leicht verrauchten und warmbrüchigen Stimme, das reanimierte Herz anzutasten. Es bleibt zu hoffen, dass die leisen, lyrischen Zwischentöne mit ihren ergreifenden Geschichten und Botschaften Gehör finden auf der Bühne einer Welt, die sich in lauten Polarisierungen erschlägt. Ich putze mit meinem Ärmel die Fusselkörnchen der Jahrzehnte aus den Zahnradlöchern, lege die Kassette ein. Ich drücke auf “Play”. Es klickt und klackt. Auf Wiederhören, la Chanson.

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