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KULTURTODATE

Bittersüßer Früchte Töne

Ein juveniles Trio und alte Musik. Sheng-Fang Chiu, Lorina Vallaster und Christine Gnigler sind das VIVID CONSORT. Sie flöten und singen sich durch die Zeiten, schälen sich durch die populären Klänge von Mittelalter und Renaissance – tragen den Sound vergangener Tage schwungvoll in unser Jahrhundert und präsentieren ihn nun auf ihrer Debüt-CD Bitter Fruit mit Agonizing Love Songs from the Renaissance & Middle Ages. Ein KulturToDate-Interview über die Erstlingsscheibe mit Early Pop Music, musikalische Zeitreisen, unverstaubte Liebeleien und die Zitrone.

Worin liegt das Reizvolle der “Alten Musik”? Wie haben Sie den Draht zu dieser Klangwelt gefunden?  Lorina Vallaster: “Wir alle beschäftigen uns schon lange mit Alter Musik. Sich für ein Blockflötenstudium zu entscheiden, setzt ein Interesse an Alter Musik voraus. Oft sind die Melodien der alten Stücke und Lieder, die wir spielen, die Gassenhauer der damaligen Zeit – beliebte Melodien, die weithin bekannt waren und vielfach von den Komponisten polyphon verarbeitet wurden. Diese Vielfalt an überlieferten Versionen von ein und denselben Melodien und diese kompositorische Herangehensweise verführt ja geradezu, auch eigene Versionen der Stücke zu kreieren – vor allem bei Stücken aus der Renaissancezeit. Wir sind auch immer wieder erstaunt und fasziniert, wie kunstvoll, komplex und stark die Komponisten des Mittelalters geschrieben haben. Die Musik von Johannes Ciconia beispielsweise, ein Niederländer, der um 1390 gewirkt hat und dessen Stücke wir regelmäßig spielen, bewegt uns besonders.”

Was ist das VIVID Consort und was ist seine Philosophie?  Lorina Vallaster: “Das englische Wort vivid steht für Lebendigkeit, Buntheit, Anschaulichkeit und Klarheit. Es ist somit Sinnbild für unser Wirken und Auftreten als Ensemble. Wir lieben es, Stücke auf unsere eigene Art zu entdecken. Wir respektieren und schätzen unsere verschiedenen Herangehensweisen an Musik und bringen sie zusammen. Offenheit gegenüber neuen Ideen ist uns wichtig. Einfälle werden erst verworfen oder eben angenommen, wenn sie ordentlich ausprobiert wurden. Außerdem versuchen wir den historischen Kontext zu beachten und dennoch nicht zu vergessen, dass wir im 21. Jahrhundert leben und musizieren. Wir möchten Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart schaffen und die Sprache beider Epochen vereinen.”

Was steht beim VIVID Consort auf dem Programm?  Lorina Vallaster: “In unseren bisherigen Programmen haben wir uns hauptsächlich auf weltliche Musik konzentriert. Themen sind die Liebe, Schmerz, Jagd, Natur, Lebenslust… Die Liedtexte sind durchzogen von fantastischen Allegorien, die nicht immer klar zu deuten sind und beispielsweise auch auf politische Situationen hinweisen.”

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Das VIVD CONSORT: Christine Gnigler, Sheng-Fang Chiu, Lorina Vallaster | Bild (c) Theresa Pewal


“Early Pop Music” – das mag es, auch in Zusammenhang mit Ihrer Debüt-CD wunderbar treffen. Gerade die Liebesthematik, die in dieser Zeit eine breite musikalische Palette zwischen Schmerzhaftigkeit und augenzwinkernder Selbstironie kennt, mag ein guter Anknüpfungspunkt sein. Auch vermag die Musik gerne mit unerwarteten schwungvollen Rhythmen zu überraschen und mit dem Klischee des Verstaubten aufzuräumen. In diesem Zusammenhang: Welche Stücke wurden für die CD ausgewählt und nach welchen Kriterien? Gibt es eine bestimmte Dramaturgie? Lorina Vallaster: “Liest man die Texte der damaligen Stücke, die auf wunderschöne Weise die tief melancholischen Stimmungen voller Schmerz beschreiben, kann man sich sofort in die damaligen Menschen hineinversetzen und fühlt sogar eine Nähe und Verbundenheit. So sehr sich auch die Lebensumstände bis heute gewandelt haben: Die Erfahrungen und Probleme, gerade was Liebesdinge angeht, sind ziemlich gleich geblieben, wenn damals auch etwas übertriebener dargestellt. Diesem extremen Sich-im-Schmerz-suhlen konntern wir mit einem Hauch Selbstironie. Oft wird Lieben in einem Satz mit Sterben gebracht, wobei das natürlich auch eine Allegorie ist, die vielleicht eher die poetische Fertigkeit unterstreichen soll, als den tatsächlichen Liebesschmerz. Die Idee der romantischen Liebe war ja damals, wenn überhaupt, ein Wunschdenken. Arrangierte Zweckehen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen waren an der Tagesordnung.”

Wie kam es zu dem Titel “Bitter Fruit” und wer hat das Cover entworfen?  Lorina Vallaster: “Im Stück Triste plaisir wird von >bitter sweetness< gesprochen, was uns zum CD-Titel Bitter Fruit inspiriert hat. Sheng-Fang hat dann passend dazu das Cover mit der Zitrone entworfen. Die Zitrone galt damals als Symbol sowohl der schmerzlichen Liebe, als auch der Natur und der Lebensfreude. Es galt als Königsdisziplin, die Schale einer Zitrone wahrheitsgetreu zu malen. Die einfache Schönheit einer Frucht wird zum Merkmal künstlerischer Gewandtheit. Eine passende Metapher zu einer sehr gängigen Kompositionsweise dieser Zeit: viele der Stücke sind Versionen, quasi komponierte Interpretationen von damals über die Landesgrenzen hinweg bekannten Melodien und Volksliedern. Die ursprüngliche Melodie wird mit virtuoser Polyphonie umspielt.”

Erleben Sie viele Interessierte für Ihr Repertoire? Wie lassen sich alt und neu am besten miteinander verbinden? Worin liegen in unserer Zeit die größten Herausforderungen bei der Vermittlung “alter Musik”? Lorina Vallaster: “Die Leute, die unsere Konzerte besuchen, gehören oft nicht zum typischen Alte-Musik-Publikum, sondern sind eher in anderen Genres zu Hause. Wir versuchen, die Musik auf eine ehrliche und natürliche Weise zu interpretieren, und, wie gesagt, nicht darauf zu vergessen, in welchem Jahrhundert wir uns befinden. Das macht den Zugang für neues Publikum vielleicht leichter. Auch hat es sich ergeben, dass unser Auftreten nicht immer den gewohnten Formen der sogenannten ernsten Musik entspricht, was vielleicht für zusätzliche Aufmerksamkeit in einem Publikum sorgt, das sich sonst nicht viel mit Alter Musik auseinandersetzt. Das sind alles Dinge, die wir nicht künstlich konstruiert haben, sondern die eher aus unserem persönlichen Geschmack heraus entstanden sind. Erst jetzt, wo wir langsam Erfahrung sammeln, können wir bewusster mit diesem Umstand umgehen und ihn vielleicht auch je nach Publikum anpassen. Wenn man sich treu bleibt und eine Ehrlichkeit ausstrahlt und bewahrt, dann vermittelt sich, welche Musik auch immer, ja schon fast ganz von selbst. Ausschlaggebend ist wohl auch, dass wir alle drei uns nicht nur intensiv mit Alter Musik, sondern auch mit zeitgenössischer und experimenteller Musik beschäftigen. Die Musikerinnen, Musiker und Bands in unserem Umfeld, die wir sehr schätzen und gerne hören, bewegen sich in Genres, die man mit Volksmusik, Jazz, Weltmusik, Klassik, Pop usw. beschreiben könnte. Diese Offenheit für alles Schöne – egal welcher Stil – ist vielleicht auch in unserem Umgang mit Alter Musik hörbar. Es war für uns von Anfang an klar, dass wir auch zeitgenössische Musik spielen wollen: Einfach, weil es in unseren Köpfen drin ist und raus muss.”

Gibt es einen Lieblingskomponisten?  Lorina Vallaster: “Einen dezidierten Lieblingskomponisten haben wir nicht. Wenn wir uns auf Repertoiresuche begeben, halten wir nach bestimmten Themen, Texten und natürlich nach bestimmten Besetzungsdetails Ausschau. Am liebsten ist es uns, wenn wir neue Komponisten entdecken! Unsere Favourits ändern sich von Probe zu Probe.”

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Das VIVD CONSORT: Sheng-Fang Chiu, Lorina Vallaster, Christine Gnigler | Bild (c) Theresa Pewal


Ihr Instrument ist die Flöte. Was macht das Besondere dieses Instruments aus und wie sind Sie dazu gekommen?  Lorina Vallaster: “Wir alle spielen Blockflöte schon seit dem Kleinkindalter, haben mit viel Spaß begonnen. Sheng-Fang ist, um das Instrument studieren zu können, im Teenageralter nach Wien gekommen und lebt seitdem dort. Dort – auf der MUK (Anm.: Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) – haben wir uns während unseres Studiums kennengelernt und uns musikalisch wie persönlich auf derselben Ebene gefunden. Die Blockflöte reagiert sehr stark auf die Luftgebung, da es kaum Widerstand beim Spielen gibt. Das macht ein sehr direktes Musizieren möglich. Das ist wunderbar! Sie ist außerdem dem Klang der Stimme sehr ähnlich. Manchmal klingt es, als würden drei Stimmen singen, obwohl nur zwei singen und eine Blockflöte spielt. Das ist fantastisch und erzeugt einen ganz magischen Klang, der uns so gut gefällt! Alles verschwimmt und vermischt sich und wird eins. Das funktioniert einfach so herrlich mit Blockflöten.”

Was bedeutet Ihnen Musik?  Lorina Vallaster: “Gemeinsam zu musizieren ist für uns ein inniger Austausch und eine Möglichkeit einer besonderen Ausdrucksweise von Stimmungen und Atmosphären. Musik schafft kurzzeitige Ausflüge in eine gedankliche Fantasiewelt. Eine Flucht aus der Realität – auch eine Besinnung auf ebendiese.”

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