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“Das Bild der ausgeaperten Vergangenheit”

Vor 100 Jahren brach der erste Weltkrieg aus. Dazu fand die Welturaufführung von „Der Stille Berg“ im Kino statt. Der starbesetzte Blick des Tiroler Regisseurs Ernst Gossner auf das Drama, das sich im unerbittlichen Kampf des Gebirgskrieges in den Alpen abspielte.

Tirol, im Jahr 1915: Auf der Hochzeit seiner älteren Schwester Elisabeth lernt der Tiroler Hotelierssohn Andreas Gruber die italienische Klosterschülerin Francesca Calzolari kennen. Er verliebt sich in sie. Kurz darauf erklärt Italien der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn den Krieg. Während Andreas auf österreichischer Seite in den Krieg ziehen muss, wird sein Schwager Angelo Soldat der italienischen Streitkräfte. Francesca verbleibt als Krankenschwester zurück. In den Dolomiten entbrennt daraufhin die Schlacht. Eine harte Probe für die Liebe und die Menschlichkeit.

Die Ereignisse rund um den amerikanischen 11. September waren es, die den Tiroler Regisseur und Produzenten Ernst Gossner auf das Thema Krieg brachten: „Ich war damals in Los Angeles und musste mitansehen, wie schnell nach den Anschlägen aufs World Trade Center ein Krieg ins Bewusstsein der Menschen reingehämmert wurde. Und wie schnell dann Afghanistan und der Irak attackiert wurden. 2004 aperten dann Leichname von Soldaten aus dem Gebirgskrieg aus dem Eis. Dieses Bild der ausgeaperten Vergangenheit hat mich nicht mehr losgelassen und die Idee zu Der Stille Berg war da.“

Die Kriegserklärung der Italiener an die k.u.k-Monarchie, hinter der auch König Vittorio Emanuele III. stand – wenngleich es seit 1882 mit dem so genannten Dreibund ein geheimes Defensivbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und dem Italienischen Königreich gab, war Startschuss für eine lange und unerbittliche Gebirgsschlacht. Die Italienfront verlief vom Stilfser Joch an der Schweizer Grenze über Tirol entlang der Dolomiten, der Karnischen Alpen und des Isonzos bis zur Küste der Adria. Damit befand sich Österreich-Ungarn ab sofort in einem Dreifrontenkrieg. Die Österreicher konnten Teile der Italienfront zu Beginn der Kampfhandlungen nur ungenügend absichern, es kamen vielfach lediglich örtliche Milizen, Landwehr und Landsturm zum Einsatz, darunter 30.000 Standschützen. Auf italienischer Seite kämpften die Alpini, die, 1872 gegründete älteste aktive Gebirgsjägertruppe der Welt. Darunter befanden sich Bataillone mit Sonderaufgaben, beispielsweise Ski-Bataillone. Die Alpini operierten im Gelände und den hochalpinen Schwierigkeiten entsprechend meist in Form kleiner Angriffstruppen. Die Kampfhandlungen begannen am Isonzo unmittelbar nach der Kriegserklärung. Trotz großer Überlegenheit und Gebietsgewinnen gelang den Italienern weder in dieser Schlacht noch in der unmittelbar darauf folgenden Zweiten Isonzoschlacht ein entscheidender Durchbruch. Dies gilt auch für die Erste Dolomitenoffensive, dem eigentlichen Beginn des Alpenkriegs, der ein weiteres Novum in der Militärgeschichte bedeutete: Nie zuvor hatte es langandauernde Kampfhandlungen im Hochgebirge gegeben, die bis auf eine Höhe von 3900 Metern mit der Ortlerstellung führten.

Es war ein Kampf in und mit der Natur, wenn die beiden Gewalten Krieg und Berg aufeinandertreffen: „Die Natur war ein wichtiger Teilnehmer des Gebirgskrieges“, so Gossner. „Immerhin war sie es, die mehr Leuten das Leben gekostet hat als direkte Feindeinwirkung. Und wenn man in den Dolomiten dreht und das auch noch in Originalstellungen von damals, dann wird einem dieser Wahnsinn nochmals bewusster. Ein Dreckskrieg in einer monumentalen Landschaft. Und dann ist da noch der Berg, der keine Moral hat. Und wenn er eine hätte, dann wäre es dem Berg egal, ob wir uns auf ihm oben den Kopf eindreschen. Der war vorher still und er war es danach auch wieder.“

Entsprechend herausfordernd und dramatisch gestalteten sich die Dreharbeiten in Tirol und Südtirol: „Die Dreharbeiten waren heftig. Dann sind wir in die Dolomiten. Einfach eines der schönsten Bergmassive der Welt. Wir drehten in den Originalschauplätzen des Gebirgskrieges und wurden in den Bergen vom Blitz getroffen. Der Blitz hat ca. 100 Meter vor uns eingeschlagen und hat sich über uns abgeladen. Neun Verletzte, drei auf der Intensivstation. Und der Blitz fuhr auch durch die Kamera ins Auge unserer Kamerafrau und versengte ihr den Sehnerv. Das gibt’s auch… Es war schlimm. Das Team hat aber Unglaubliches geleistet und wir machten weiter. Da kam der nächste Blitz. Der uns nicht getroffen hat, aber wir mussten wieder unterbrechen. Dann nahm eine Mure ein ganzes Schlachtfeldset mit und zerstörte es. Jedenfalls hab ich den Blitz dann wieder in den Film zurückgeschrieben Kurz vorher hatten wir den Blitz wegen Budgetproblemen aus dem Drehbuch gestrichen.“ Warum eine Aufarbeitung des traumatisch erlebten Ersten Weltkriegs für Österreich so schwierig ist, ortet Gossner darin, dass kurz darauf der nächste Weltkrieg dazwischen kam: „Manchmal kommt’s mir vor, als ob da einfach soviel verschütt gegangen ist, dass es wieder drei oder vier Generationen gebraucht hat, um sich dem einigermaßen stellen zu können. Wenn überhaupt.“ Dennoch sollte man es nicht vergessen: „Sich mit Geschichte auseinanderzusetzen ist fundamental. Ich hab grad einen Online-Kurs über die Geschichte der Menschheit absolviert und der Professor meinte abschließend, dass man Geschichte nicht studiert um aus der Vergangenheit zu lernen, sondern sich von ihr zu befreien. Wir spüren den Griff der Vergangenheit im Nacken, sobald wir geboren werden und wir merken’s nicht einmal. Das Studieren von Geschichte zielt darauf ab, diesen Griff zu lockern und unseren Kopf freier bewegen zu können und in neuen Wegen zu denken.“

Die Geschichte wird mit namhafter und internationaler Besetzung inszeniert. Darunter Claudia Cardinale, Fritz Karl oder William Moseley (als Anderl Gruber). Der junge britische Schauspieler, der sich als Peter Pevensie in den Chroniken von Narnia, in viele Fanherzen spielte, wurde erst nach lokalem Casting entdeckt: „Wir haben zuerst in Tirol nach dem passenden Anderl gesucht. Wir haben extrem begabte junge Schauspieler gefunden, aber es war niemand dabei, der uns 100% überzeugt hat. Als ich merkte, dass es sich vom authentischen Tiroler weg entwickelt, war’s mir dann schon egal, ob er aus Deutschland oder aus England kommt. Die Castingagentin meines ersten Spielfilms hat uns dann auf William Moseley aufmerksam gemacht. Ich fand ihn von Beginn an die perfekte Besetzung für Anderl.“ Claudia Cardinale allerdings war Gossners Wunschkandidatin für die Rolle der Nuria Calzolari, Mutter von Anderls Geliebter Francesca Calzolari, dargestellt von der jungen italienischen Schauspielerin Eugenia Costantini: „Wir haben ihr das Drehbuch geschickt und sie hat gleich zugesagt.“

„Wir wollten von Beginn an einen Film machen über Krieg und was er mit den Menschen macht“, bringt Gossner die Botschaft des Stillen Bergs auf den Punkt. „Jede Pore des Filmes erzählt vom Krieg. Vom Witz bis zum Tod. Als großes Theater und als bittere Erkenntnis. Keine der Figuren in Der Stille Berg bleibt vom Krieg verschont. Alle ändert er, der Krieg.“ Vor dem Hintergrund einer europäischen Gemeinschaft, die in Nationalitäten zerrissen wird und von einem schicksalshaften Patriotismus lebt, meint der Regisseur, dass noch etwas anderes bezüglich der Vergangenheitsbewältigung gelungen ist: „Was uns denke ich auch gelungen ist, zu zeigen, wie es unsere Urgroßeltern erwischt hat. Ich glaube, dass man nach dem Film besser weiß, wie es denen damals ergangen ist. Man darf ja auch nicht vergessen, dass es in Tirol Südtirol und Trentino keine einzige Familie gibt, die nicht mit diesem Konflikt in Verbindung steht, wenn sie damals schon ihre wurzeln dort gehabt hat. Wir merken das auch an den Leuten, die an uns herantreten und von ihren Großeltern oder Urgroßeltern zu erzählen beginnen.“ Überhaupt sind die Berge für Gossner „jedesmal beeindruckend. Aber manchmal eben auch zu beeindruckend. Toll waren die Besuche etwa auf der Madatsch-Stellung im Ortlergebiet für unseren Dokumentarfilm Global Warning.“ Auch mit persönlichem Schicksal sind sie verbunden so mit einem „Lawinenabgang im Kühtai, bei dem ein guter Freund von mir verschüttet wurde und ich ihn ausbuddeln musste oder besser durfte. Dann, letztes Mal, als ich mich verging und plötzlich mitten in einer Wand hänge und eh kein guter Kletterer bin. Immer spannend und beeindruckend. Aber auf jeden Fall muss ich noch mehr in den Dolomiten marschieren. Soviel ist sicher.“ Bereits in seiner Dokumentation „Global Warning“ (2011) hat sich Gossner mit dem Tiroler Gebirgskrieg beschäftigt und sich die Frage gestellt, „warum die Welt noch immer brennt?“

„Der Stille Berg“ ist ein „spannender“, „abenteuerlicher“, „liebevoller“ Film vor einer „gewaltigen Bergkulisse“, die heute noch immer auf dieses dramatische, geschichtsträchtige Ereignis herunterschweigt und emotionslos immer neue Zeugnisse der dunklen Zeit zutage fördert.

[Klaus Oberrauner, KulturToDate, April 2016]

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