Am 22.11. 2013 wurde erstmals der „Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN“ vergeben. Ausgezeichnet wurde der einfühlsame Schriftsteller Stefan Horvath, der in der alten Roma-Siedlung in Oberwart seine Wurzeln hat und dessen Schreiben eng mit dem persönlichen Schicksal verwoben ist. Ein Einblick.
Am 5. Februar 1995 machte es einen Knall. Einen Knall, der vier Menschenleben auslöschte. Auf einen Schlag. Nicht alle waren erschüttert in Oberwart. Nicht alle hatten dabei ihr eigen Fleisch und Blut zu betrauern. „Ich bin der ewige Zigeuner, der in der Roma-Siedlung geboren und aufgewachsen ist. Der alle Jahrzehnte des Schweigens genauso stumm ertragen hat wie die anderen. Der die zerfetzten Leiber der vier Opfer gesehen hat. Der das Grauen am Tatort miterlebt hat. Der seinem toten Sohn in die gebrochenen Augen geblickt hat und seitdem die Stimmen seiner Vorfahren aus dem Jenseits hört.“ Das lässt Horvath den Protagonisten in seinem Bühnenstück Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner (2005) sagen. Durch ihn spricht er selbst, der nach dem gewaltsamen Tod seines Sohnes unter schweren seelischen Problemen und Schlafstörungen litt. Was da explodierte, eine Sprengfalle. Eine Rohrbombe des österreichischen Terroristen Franz Fuchs mit dem Schild „Roma zurück nach Indien!“ Dieses Ereignis brachte Horvath zum Schreiben. Das alles zu verarbeiten, auch das schwierige Minderheitendasein. So etwa in der Erzählung „Katzenstreu“ (2007), in welchem er das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln schildert. Aus der des Täters, der des Beobachters, der des Opfers. „Ich war sehr schweigsam, bis mich das junge Romamädchen fragte, warum ich nicht reden wollte. Ich erzählte ihr von ‚Katzenstreu’ und dass ich nicht wüsste, warum mir gerade dieser Titel eingefallen sei. Das Romamädchen antwortete, dass der Sockel der Bombe von 1995 aus einem Katzenklo gefertigt worden war.“ Daraufhin entstand in Zusammenarbeit mit dem burgenländischen Musikern und Komponisten Willi Spuller die Hörspiel-CD „Katzenstreu“, bei der u.a. Karl Markovics als Sprecher mitwirkte. 2013 erschien nun sein drittes Buch „Atsinganos“, in dem er sich den Oberwarter Roma und ihren Siedlungen widmet. In seinem Einakter beschreibt er die Roma-Siedlung, in der er am 12. November 1949 das Licht der Welt erblickte, als großes Raumschiff, das aus seiner ursprünglichen Umlaufbahn geraten, angehalten worden und, seit Kriegsende, mit stummen Insassen besetzt ist. Er möchte darüber reden. Über die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft. Die Schallmauer des jahrzehntelangen Schweigens, des Abgesondertseins zu durchbrechen. Er sieht sich den neugierigen Fragen eines Engels gegenüber, der seines irdisches Dasein als junges Mädchen in einem Konzentrationslager aushauchte. Die Roma-Siedlung in Oberwart wurde von der Gemeinde für den Bau des städtischen Krankenhauses, in welchem Horvath bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2011 arbeitete, aufgelöst. Nach dem Besuch der Volksschule durfte er als erster Roma die dortige Hauptschule besuchen. Nach der Schulpflicht verdingte er sich als Hilfsarbeiter für diverse Baufirmen in Wien und Umgebung, wurde Vorarbeiter, kam bis in den Betriebsrat und war Polier. Für die besondere, einfühlsame Auseinandersetzung mit seiner Umgebung wurde nun Stefan Horvath mit dem „Roma Literaturpreis des Österreichischen PEN“ ausgezeichnet. Der Preis wurde zum Gedenken an sein verstorbenes Mitglied, die österreichische Roma-Künstlerin Ceija Stojka (1933-2013), ihres Zeichens Schriftstellerin, Malerin, Sängerin, Tänzerin, KZ-Überlebende, Zeitzeugin und Menschenrechtsaktivistin, ins Leben gerufen. Mit diesem Preis soll das in der Roma-Kultur traditionell verankerte künstlerische Schaffen, das literarische Schaffen von herausragenden Roma-Persönlichkeiten gewürdigt werden. Gleichzeitig damit gleichzeitig das in Europa weitgehend diskriminierte und im Holocaust fast ausgerottete Volk der Roma und Sinti hingewiesen werden. Eine wichtige Zeichensetzung und Einmahnung hinsichtlich der Menschenrechte. Der Engel schaut ihn an und fragt ihn, wer er denn sei? „Ich bin der Zigeuner, der seine Stadt liebt, genauso wie seine Vorfahren diese Stadt geliebt haben. Der das Gespräch sucht, keinen Hass gegen sie empfindet. Der die Schallmauer dieses jahrzehntelangen Schweigens endlich durchbrechen will.“
Stefan Horvaths Bücher:
Ich war nicht in Auschwitz. Erzählungen. Edition lex liszt 12 (2003) ISBN: 978-3901757358
Katzenstreu. Erzählung. Edition lex liszt 12 (2007) ISBN: 978-3901757518
Atsinganos. Die Oberwarter Roma und ihre Siedlungen. Edition lex liszt 12 (2013) ISBN: 978-3-990160046
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