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Filmnotiz: Joker (2019)

Der drückende Herbstabend, der sich – schien’s – schneller als sonst in seinen Nachtmantel presste und seine dunkle Gestalt wie selbstverständlich aufrichtete, passte. Frappierend. Ein Schlucken übertüncht das im lollipopartigen Sechzigerahrestil etikettierte Ende. Als ob ein Luftballon über einem verheerenden Schauplatz seine Laune drollt. Joker fesselt, verstört und bleit von Anfang an. Als ob nichts so wäre wie es scheint, tritt man ein bisschen ein wie in ein Spiegelkabinett und schaut in die womöglich selbst ersponnenen Werdefäden eines Soziopathen. Unter anderem hineingepresst in die Schablone des Gefallenwollens und Gefallenweckens – von einer Mutter mitgenährt, die ihn fortwährend “Happy” ruft –  zerspringt alles in krankhaftem Lachen und in dem zusehnden Zersetzen eines menschlichen Korsetts. Der Metamorphose zu einem der umstrittensten und gefährlichsten Bösewichtfiguren der Comic- und Leinwandgeschichte. Der Film erzählt – trotz teils großer, fokussierter Bilder –  auf fragile, bröckelnde und zugleich zuweilen nüchterne, unverblümte Weise. Wodurch die überschaubaren mortalen Ausbrüche umso erschütternder daherkommen und die Unberechenbarkeit des eigentlich fremdernannten Jokers umso stärker akzentuieren. Joaquin Phoenix schafft das Meisterwerk von Heith Ledger grandios zu vollenden und die menschlichen Abgründe des irrwitzigen Joker hervorzukehren. Das tragische Ringen einer menschlichen Seele. Ein fatales Scheitern. In einem Machwerk, das weniger Comicverfilmung als bemerkenswerter Cocktail aus feingliedrigem Thriller und nüchternem Drama ist. Mit im Gepäck: ein Spiegel auf eine ebenso verrohte, enteinte, brutale Gesellschaft, die sich nur im Kampf, in der Revolte gegen das wohlgesättigte Establishment wiederfindet. Im Film weitgehend über Medien präsentiert, wirkt es selbst wie eine surreale, ferne Parallelwelt. Zugleich ein ungeschönter Spiegel auf unser Jetzt. Ein Wachrütteln, das soziale Gefüge nicht seinem Untergang preiszugeben oder einer Leitfigur à la “Joker” zu überlassen. Ein Film mit Reibungsflächen und Anspruch. Nichts für schwache Nerven.

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