Der Weg nach Wien Vor über zwanzig Jahren ist die beeindruckende Schweizer Musikerin Eloui nach Wien gekommen, um hier an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. „Als ich damals gewarnt wurde: >Vorsicht, Wien pickt!< habe ich erst gar nicht verstanden, was >picken< bedeutet. Mittlerweile weiß ich es ziemlich genau“, denkt die sympathische Musikerin an ihre Anfänge in der Donaumetropole zurück und bekennt: „Ich lebe sehr gerne in Wien, es ist mein neues Zuhause. Vermissen tu ich natürlich die Berge und den Zürichsee, die Dolder Eislaufbahn, den Walliser Muscat und den Hobelkäse. Aber dafür gibt es hier den Wienerwald, den Böhmischen Prater, Eismarillenknödel und den guten Kaffee.“ Wenn sie sich nicht in ihrem Proberaum in Simmering, in ihrer Wohnung in Favoriten befindet oder gar mit ihrem Vélo unterwegs ist, saugt sie gern die Lokalatmosphäre im Café Rathaus, im Saigon oder im Rhiz ein. „Ich bin in der Schweiz in den Walliser Alpen geboren und als Kind sehr gerne geklettert, auf Bäume und auf Felsen. Berge fühlen sich für mich nach Heimat und Kindheit an, ich denke ans Rodeln und Schneehöhlen bauen im Winter, an den Geruch von Schafen und an die kratzigen Gräser der vertrockneten Wiesen im Sommer. Ich mag Spaziergänge durch den Wald, Eislaufen auf der gefrorenen Donau, Zugfahren durch Winterlandschaften, Laufen am ewig weiten Strand an der Nordsee. Und Schneefall wirkt bei mir verlässlich stimmungsaufhellend. Ich wohne aber auch sehr gern in der Stadt. Ich mag Wolkenkratzer und Alleen, die Wiener Stadtbahnbögen, das Amalienbad und eine Stadtfahrt mit dem Bus 14A.“
Der Weg zur Musik Dabei war der Weg zur Musik zunächst kein eindeutiger: „Mein Lieblingsfach in der Primarschule war Musikalische Früherziehung. Mein zweites Lieblingsfach war Zeichnen, und nachdem ich als siebenjähriges Mädchen im Kunsthaus Zürich das Schubladenmuseum mit 500 winzigen Arbeiten von 500 KünstlerInnen – darunter Duchamp, Oppenheim, Picasso und Beuys – gesehen hatte, war ich davon so fasziniert, dass ich unbedingt selber auch Künstlerin werden wollte. Ich habe dann tatsächlich an der Kunstakademie in Wien studiert. Daneben habe ich aber immer mehr oder weniger intensiv musiziert und mit der Zeit habe ich feststellen müssen, dass die Musik einfach meine größere Leidenschaft ist und dass ich mich musikalisch besser ausdrücken kann als bildnerisch.“ Ihren musikalischen Stil zu fassen, einzugrenzen, in eine Schublade zu packen käme dem Versuch gleich, die Farben in einem Prisma zu fangen: „Angeblich sind in meiner Musik Spuren von Punk, Klassik, Singersongwritertum, Jazz, Electronica zu finden. Aber man kann das ja selber immer so schwer beurteilen. Wenn ich eine Genre-Schublade aufmachen muss, würde ich vielleicht am ehesten die direkt unter der Popschublade wählen. Die, die ein bisschen klemmt und knarzt.“ Und trotzdem gibt es noch Parallelen zur Malerei: „Ich sammle Material und fange einfach mal an. Ein erster Strich auf der Leinwand, damit einfach mal wenigstens irgendwas da ist. Und in guten Momenten kommt das ganze dann ins Rollen, ich häufe Kleinigkeiten und Nichtigkeiten an, lege Flächen, setze Kontraste, verwische sie wieder, sortiere, erfreue mich an Zufällen und Unvorhergesehenem, analysiere, versuche zu verstehen, scheitere daran, lasse mich treiben, schaffe Strukturen und Muster, lösche aus, setze neu zusammen…Solange bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.“ In ihren Videos bemüht sie sich um sehr eindrucksvolle Motive (z.B. im Wind wehende Wäsche auf venezianisch zwischen Häusern gespannten Leinen oder von Spuren gezeichnetes und Schatten werfendes Eis beim Eislauf-Rundendrehen), in denen Natur und permanente Wiederkehr auffallend sind. Inwieweit spielt dieses optische Moment als dritte Dimension, auch bei Live-Performances eine Rolle? „Meine Videos entstehen ungeplant und sehr intuitiv. Ich sehe etwas, das mich fasziniert, bleibe stehen, schaue lange zu, und ab und zu mache ich halt mit meinem Telefon Filmaufnahmen davon. Eigentlich eher für mich persönlich als Souvenir. Manchmal passen dann diese Aufnahmen gut zu den Stimmungen meiner Lieder und ich füge sie zusammen.Ich kann mir gut vorstellen, zukünftig auch auf der Bühne mit eigenen Visuals zu arbeiten.“ Als die beiden anderen Dimensionen erscheinen der kaleidoskopartige, farbgebende, sich weitgehend repetierend fortknüpfende Klangteppich und der sehr poetisch-philosophische, bilderreiche Text. Zuweilen erscheint er collagenhaft mit markanten, emotionsgetragenen Headlines. Da stellt sich natürlich die Frage nach der Herangehensweise an ein derartig eindruckspolyphones Gebilde und woher die Inspirationen kommen? „Natürlich beeinflusst mich meine Umgebung“, erzählt Eloui. „Inspiration für meine eigene Musik hole ich mir jedoch nicht unbedingt an einem spezifischen Ort. Ich empfinde meine Musik sehr stark als meine Sprache, die einzige, in der ich das Gefühl habe, mich gut ausdrücken zu können. Ich empfinde sie auch als geschützten Ort, an dem ich meine Gedanken, Erinnerungen und Themen sicher aufbewahren kann.“ Ein schöner Tresor im Wortsinn. Ihre Lieder entstehen auch auf sehr unterschiedliche Weise. „Manchmal setze ich mich hin und schreibe einen Text in einem Zug. Oft überraschen mich aber Textfragmente beim Nachdenken in irgendeiner alltäglichen Situation, beim Radfahren, Kochen, Laufen. Ich schreibe sie dann unterwegs auf irgendwelche Zettelchen oder Zugtickets oder Eintrittskarten. Oder auch in eines meiner kleinen Bücher. All diese Notizen schaue ich immer wieder durch und versuche, die Ordnung darin zu erkennen, sie thematisch oder formal zu sortieren. Ich schreibe sie dann neu angeordnet in ein weiteres kleines Buch. Dieser Prozess wiederholt immer und immer wieder bis sich ein Text herauskristallisiert. Die Musik entsteht manchmal parallel zu den Texten, manchmal ganz separat. Manchmal entsteht sie am Sofa sitzend an der Ukulele, ein anderes Mal programmiere ich als erstes einen Beat am Computer. Das passiert alles während mehrerer Monate, ich arbeite parallel an mehreren Projekten. Sobald ich merke, dass genügend Skizzen und Ideen vorhanden sind, ziehe ich mich ein, zwei Wochen zurück um die Lieder fertig aufzunehmen, zu produzieren und zu mischen.“ Tatsächlich wirkt die Musik wie ein Teppich, auf dem sich der Text ausbreitetet bzw. wie ein Fensterrahmen durch den man die in ihren Liedern erzählte Poesie schaut oder empfängt. Vor diesem Hintergrund sieht sie sich durchaus als Liedermacherin. „Manche meiner Lieder haben sogar Strophe, Refrain und Bridge. Sie sind aber zugegebenermaßen in der Minderheit.“ Dazu kommt die individuelle Exotik und Apartheit durch das Formen quasi synthetischer, polyphoner Klanggebilde, die für Grenzüberschreitung, Grenzdurchbrechung und Grenzverschmelzung stehen können: „Ich benutze die technischen Hilfsmittel und Instrumente als Werkzeug und experimentiere mit einer gewissen naiven Neugier damit herum. Ich nehme Geräusche auf und verfremde sie, ich benutze alte Musikschnipsel und Töne und schicke sie durch Verzererrer und Halleffekte. Dabei entstehen dann wieder neue Sounds mit denen ich weiterarbeite. Es ist für mich eine Herausforderung, mich auf Experimente einzulassen, deren Ausgang ich so gar nicht vorhersehen kann. Genau so wichtig ist es für mich aber auch, immer wieder zur Ruhe zu kommen, Stille und Langeweile zu zelebrieren.“ Da verwundert es dann doch, dass die kreative Wien-Schweizerin auf ihrer Homepage „fear and do it anyway“ titelt. Worauf bezieht sich denn dieses „Angsthaben“? „Ich bin einfach bisher immer dann an den schönsten und interessantesten Orten angekommen, wenn mich der erste Schritt etwas Überwindung gekostet hat. Deshalb habe ich mir diesen Satz als Motto ausgesucht“, erklärt sie mit hübschem Lächeln. Neben dem Bass ist ihr Instrument die Ukulele. Für sie ein ideales Instrument, um Songs zu schreiben. „Ich stimme mir die Saiten in einer besonderen Stimmung oder erfinde neue Griffe und Akkorde, die Ukulele ist sehr dankbar und unkompliziert und braucht keine ausgeklügelte Technik. Ich mag die kleine Größe und Leichtigkeit der Ukulele. Außerdem ist mir als Bassistin ja alles was mehr als vier Saiten hat sowieso etwas suspekt…“
Das Album Ihr Album „Chasing Atoms“ – der Titel ist ein Zitat aus einer Textzeile von „The Rift“, einem Lied von M185 („We’re chasing atoms“) – versteht sich als ein Jagen von zusammengefügten Ideenteilchen in einer facettenreichen Klangwelt. Auffallend in der minimalistischen, ausdrucksstarken, collageartigen Bildpoetik ist die Darstellung von Fluktuationsemotion, das Wechselspiel zwischen Natur und Körperlichkeit („life owns me“ in „Grass Stained“), Erleben und Wissenschaft und dem, was jenseits all dessen passiert – wie die Stummheit des Lächelns oder das Gefühl, das jede Körperlichkeit, jeden Raum, jede Zeit übersteigen und überdauern kann („love is the eye of our life’s tornado“, „time is our enemy“ in „Tornado“). Ist das nicht ein Spiegelbild dessen, was Musik in uns zum Schwingen bringt und alle materialistische Wertigkeit einer gierigen und schnellsüchtigen Welt hinterfragt? „Das kann ich so gar nicht beantworten. Es ist schön, wenn meine Musik zu solchen Gedanken anregt! Was ich auf jeden Fall sagen kann ist, dass meine Musik Spiegelbild dessen ist, was das Leben in mir zum Schwingen bringt.“ Ihr Album ist sowohl auf CD als auch auf Vinyl erschienen. Außerdem gibt es dazu ein Poster. Warum sie glaubt, dass man die Schallplatte wieder zu entdecken beginnt? „Vielleicht, weil man statt der digitalen Nullen und Einsen etwas haben mag, das man angreifen kann. Schallplatten sind halt einfach etwas Sinnliches, sie haben eine schöne Größe, das Artwork kommt gut zur Geltung und sie bekommen mit der Zeit ganz individuelle Eselsohren und Plattenkratzgeräusche.“
[Klaus Oberrauner, KulturToDate, April 2016]
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