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Wien-Bilder #1

In Memoriam Ludwig Hirsch 

Es ist nicht alles Wien, was glänzt. Es liegt schon lange ein morbider Schleier über der Stadt, die dir, sofern vorhanden, mit einem guten Nachruf die Wertschätzung entgegenbringt, die zu Lebzeiten im Sumpf der Normalität untergegangen ist. Wie ein Alibi fürs Österreichsein, das Gute erst dann zu erkennen, wenn die Eieruhr schon lange abgegangen ist. Ludwig Hirsch ist tot – ich bin erschüttert. Auch erschüttert darüber, wie gut dieser Schlusspunkt zu den dunkelgrauen Welten, die er in seinen Moritaten geschaffen hat, passt. Er ist geflogen wie ein großer schwarzer Vogel, über die Gewissen, über die Knochen, mitten ins goldene Herz hinein. Komm, großer, schwarzer Vogel, komm zu mir! Spann’ Deine weiten, sanften Flügel aus und leg’s auf meine Fieberaugen! Bitte, hol mich weg von da! Und dann fliegen wir rauf, mitten in Himmel rein, in a neue Zeit, in a neue Welt, und ich werd’ singen, ich werd’ lachen, ich werd’ – das gibt’s ned! – schrei’n, weil ich werd’ auf einmal kapieren, worum sich alles dreht. Ich bin erschüttert über diesen ehrlichen und unverblümten Abschied. Ich werde dankbar sein für das, was er uns gegeben hat: Die g’sunde Watschen, damit wir endlich aus unserem Traum aufwachen und menschliche Menschen werden.

In Zahlen 

Interessiert schlurfte der Alte durch die Westpasssage am Karlsplatz, studierte die Täfelchen, an denen tagtäglich viele Eilige vorüberhasen, ohne einen einzigen Gedanken an ihr Vorhandensein zu verlieren. Es sei ihnen nicht zu verübeln. So geht es mir auch zuweilen, wenn ich, wie dem Prinzip der kurzen Wege folgend, fast waidmännisch versuche, vom einen Ende der Stadt zum anderen zu kommen. Diesmal fiel es mir auf, weil jemand davor stand und mit dem Zeigefinger die zweistellige Millionenzahl abtupfte, die, einem Zahlenspiel gleich, in roten digitalen Ziffern die Anzahl der verzehrten Schnitzel in Wien seit Jahresbeginn begreifbar zu machen versuchen. Unweit davon die hungernden Kinder, die Kriegstoten der Welt, die Ausbreitung der Sahrara in Hektar und, wäre das noch nicht genug sensationell, die Anzahl der Verliebten in Wien. Wie wenig die Menschen sind, wenn sie Zahlen werden. Ich war wohl so vertieft, dass ich nicht bemerkte, dass der Alte inzwischen weitergschlurft – und die Anzahl der Verliebten sprunghaft um 2 angestiegen war.

Straßenbahnbummeln

Das Straßenbahnbummeln ist doch eine schöne Sache. Noch dazu, wenn man zufällig in den Genuss kommen kann, so wie es mir letztens erging, als der 49er Waggon Richtung Lerchenfelder Straße einbog und ich durch dieses omenähnliche Zeichen Lust bekam, in den überirdischen Wiener Fahrgenuss zu kommen, den es ja, man lese und man staune, auch gibt. Ja wirklich. Wie in einer Panoramabahn genießt man die innerstädtische Schienenromantik, gondelt wie an wirklichen Theaterkulissen in einem lebendigen Historiendrama vorüber. Vor allem fühlt man sich bestätigt, wenn dann ein gewisser Wiener-Schnitzel-Hunger hochkommt: Der kulinarische Ruf nach Authentizität. Man sitzt auf der sich spürbar nicht zu entziehenden Patina der betagten Holzgarnituren, bewunder süchtigen Herzens die gschamig dastehenden, mit Efeu bewachsenen Biedermeierhäuser, und lauscht der Stationsansagerstimme, die an den Charme eines gediegenen Theaterbilleteurs erinnert, der einen freundlich an der Hand nimmt und an seinen Platz führt. Wo man gespannt auf das Lichten des schweren, roten Faltvorhangs waret und siehe da: Das Schauspiel beginnt. “Hütteldorf. Endstation. Bitte alle aussteigen.”

In Memoriam Leopold Hawelka

Wien ist um eine Ikone ärmer. Noch im alten Jahr verabschiedet sich Cafetier Leopold Hawelka im 101. Lebensjahr von der Gesellschaftsbühne, friedlich eingeschlafen, wie es heißt, in die Arme hinein seiner bereits 2005 verstorbenen Gattin Josefine. Unvergesslich wird der alteingesessene Charme bleiben, mit dem der bis zuletzt Rüstige für jeden seiner Gäste einen Platz fand – im Wohnzimmer vieler Künstler und bekannt – gediegener Gesichter der Wiener Society. Ich hatte noch die unvergessliche Ehre, das ,Suach ma glei an Plotz’-Szenario wärend eines sommerlichen Altstadtspaziergangs zu erleben. Im Zweifel ins Hawelka, hieß es, das inmitten des antiquierten Interierurs wie eine Zeitreise anmutet. Ein Wiener Mythos: ,Das Café Hawelka ist eine magische Botanisiertrommel, in der man die seltsamste Flora unserer Stadt finden kann: Gescheite und Dumme, Hässliche und Schöne, Arme und Reiche, Junge und Alte, Bezaubernde und Bezauberte, Stotternde und Wohlredner…’, schrieb H.C. Artmann 1960 über das Hawelka. Ein immer noch aktueller, hoffentlich noch lange wohlschmeckender und zu geistreichen Gesprächen anregender Wiener Kaffee. Eine inspirierende Melange.

Kafeehaus-Zoologie 

Zuweilen erlebt man, und das ist eine besonders interessante Beobachtung, die Herren und Frauen Ober als die Drei Affen. Wie ein Zoologe geht man durch die Kaffeehauslandschaft und beobachtet die Gebärden, wenn man sie nicht selbst ausführt, wie ein luftfliegenfischender Karajanimitator, wenn man eine Kleinigkeit trinken möchte. Immer noch habe ich jemanden wachteln sehen. Sie sind schon sehr flügge, die Wiener Vögel. “Ober, zahlen!” ist spätestens seit Hans Moser – wohlgemerkt mit Rufzeichen! – ein geflügeltes Wort in der Szene hinter den Altstadtfassaden, den kleinen Welten, die Nährboden für Freundschaften oder Skandale sind. Nur, so wär’ es nicht schlecht, würden diese Worte, selbst auch bei der Bestellung, gehört. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit, sich bei dem Personal der historischen Cafés, das beinah so antik wie nämliche ist, ein Gehör im wahrsten Sinne des Wortes zu verschaffen. Kein Wunder bei Ohren wie ein Luchs. Der Geschäftsmann schrieb MELANGE in großen Lettern auf seinen Notizblock und zeigte ihn der Bedienung, die lächelnd nickte und mit einer großen Tasse heißer Schokolade zurückkam.

Wien ist anders

Wien ist anders, heißt es oft. Anders oft im Typischen, so fällt es schwer – vor der nachgesagten Humorlosigkeit – sich einen einprägsamen Heurigenwitz, wie mit viel Charme von den Stehaufmanderln dargeboten, vorzustellen. Hinzu kommt, nach Karl Kraus, die typische Wiener Gestalt des Nörglers. Ein wahrer Künstler im Jammer, ohne zu leiden: Viele Wiener granteln huldreich über die anderen Wiener, die so viel granteln. Was für Außenstehende immer schwer begreiflich ist, noch dazu, wenn man in einer der schönsten Hauptstädte der Welt lebt. Dennoch können sie stunden-, manche munkeln auch tagelang in ihrem Stammbeisl sitzen und über das Gulasch philosopheiren oder sich über Verirrungen des runden Leders derart zu echauffieren, dass sogar der liebe Augustin gschamig wird und der Fenstergucker sein Schaulöcherl vernagelt. Vielleicht, so könnte ich mir sagen lassen, ist es tatsächlich so, dass das Wiener Blut, welches nach Hans Moser ein süffig, am besten heurig gekelterte Rebensaft ist, derart in Wallung geraten kann, wie ein an Pikanterie nicht zu übertreffendes Puszta-Gulasch. Mahlzeit

In g’scheiten Hallen

Heute habe ich, trotz östlich sibirischer Eiszapfenkälte, halbwegs gut gelaunt, dem morgendlichen Steffl die Ehre gegeben, eine echte Schlafmütze, ehe ich ins gediegene Schubert-Viertel gelangt bin, wo der arme Sackpfeifer Augustin die ersten schelmischen Töne seinem Instrument entlockt haben soll. Eine sehr gediegene Gegend, wo ein Kleinod der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gelegen ist. Man fühlt sich in diesen g’scheiten Hallen gleich selbst auch ein bisschen ergriffen und ehrfürchtig. Alles macht neugierig, interessiert und ist wissenschaftlich, wird dementsprechend akribisch geprüft. So ging es wohl auch der Dame, die eine besondere Aufmerksamkeit dem Schild schenkte, das verlautete, dass der Thermostat neu justiert sei und dass man daran nichts verstellen sollte, um keine unnötige Verwirrung hervorzurufen. Die Türen, die Gänge und vor allem auch die Luft haben etwas sehr – im wahrsten Sinne des Wortes – Gediegenes. Jaja, die Wissenschaft – als flötete sie hier ihren letzten bescheidenen Geist aus. Und das zwischen einer Trafik und dem als namhaften In-Treff oftmals heimgesuchten Griechen-Beisl, worüber der Augustin noch fröhlich dem Frost trotzt.

Die Pferdegesäßseite 

Die Unübersichtlichkeit mancher Wiener Plätze, wohl mitverursacht durch die ausladende Erstreckung derselben, hat, wie ich meine, schon genügend der Verwirrungen und Verirrungen verursacht. So scheint’s vor allem die Nichtwiener, tunlichst auf dem Schwarzenbergplatz zu desorientieren, zumal es, von zahlreichen Straßenzügen und Ampeln unterbrochen, keine angenommen logische Einheitlichung gibt. Auch ist es ein ganz besonders gewagtes Abenteuer, von einer zur anderen Seite des Platzes zu gelangen. Sucht man eine bestimmte Adresse, so scheint die bewusst irritierende unnachvollziehbare Anordnung der Hausnummern ihr Übriges zum geistigen Gesamtzustand des Platzquerers beizutragen. Für die Wiener gibt’s nur zwei Seiten des Platzes, orientiert am örtlich befindlichen Reiterdenkmal, das den Altwiener Heldenfürsten, nach dem der Ort getauft, hoch zu Ross darstellt: Die Pferdegesäßseite und die Hufseite. Zur Pferdegesäßseite befindlich, die Allee zum Belvedere zur Hufseite, schaut der altehrwürdige Fürst hinein ins älteste Ringstraßencafé. Kennen Sie sich jetzt aus? Bleibt zu hoffen, zur Genüge.

Buhstabenzupe

Wien ist nicht nur eine Stadt der zahllosen Möglichkeiten. Wien ist auch eine Stadt der zahllosen und schönsten Episoden, wie ich sie mir selbst nicht besser ausmalen könnte: Der Blick über die Ufer seiner BUHSTABENZUPE hinaus schien ein sehr schwerfälliger zu sein. Die Befürchtung in den Augen, sich wie eine Buchannon-Boje im Pazifik oder wie dieses in der Rinderbrühe zu fühlen, das ständig vom Löffel schwimmt. Müde erhebt sich der bello carinziano vom Bistrotisch inmitten der gediegenen Josefstadt und winkt dem Ober zu zahlen. Auch dem schaute die Tristesse förmlich aus ihm heraus. ,Ja, was hat er denn?`, fragte der von den Anlagen her durchaus für gewinnende Offenherzigkeit gemachte Gast des Südens. Der zur rührenden Antwort bekam: ,Ach wissen’s, gnä’ Herr, der Hatschek liegt bei uns in der Familie.” Und Peter Alexanders legendäre Powidltatschkerln auf den Lippen – gepfiffen, nicht gesungen – nahm der Servierer das daraufhin großzügig gehaltene Trinkgeld entgegen. Und der zu neuer Fassung gefundene Gast schmunzelte, das Lied erkannt zu wissen: “Wie Böhmen noch bei Öst’reich war.” Woraufhin der Kellner wortlos im Beisl verschwand und nicht mehr wiederkehrte.

Barockhaus

Auf einem leicht wackeligen Tisch, bedeckt von altbewährtem rot-weißen Karo, das sich den Küchenstubenduft über die Jahrhunderte bewahrt hat, flackert die Kerze ihren dezent schüchtigen Charme, als spräche sie von Zeiten, die der Volksmund – frei nach einer patinabedeckten Fernsehsendung – mit dem nach Antikholz schimmernden Wörtchen “Damals” benannt hat. Im Partnerlook der freundliche Wirt, um ein erwärmendes Wohl bemüht. Vor der Kulisse asiatisch-esoterischer Schwingungen zwischen Grießsuppe und Powidlkipferl kann man noch das genießen, was man eigentümliche österreichische Kost nennt. Am Nachbartisch hörte ich fachsimpeln über mehr oder weniger Wohlgefallen hervorrufende Theater- und Filmerlebnisse, wobei die Bemühung nicht zu überhören war, mit welcher sich jeder für seinen deklarierten Lieblingsmimen einzusetzen wusste – und das auch bei einem Teller voller delizuös scheinender – und wohl auch derart seiender Kärntner Kasnudel. Um deren Verschmausen wurde es zufrieden still daneben und es überkam mich das unerklärlich wohlige Bewusstsein, in einem Barockhaus zu sitzen.

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