Wien ist…
Wien ist eine Haydnsonate, ein Mozartbrief, ein Schubertlandler, eine Beethoventaubheit. Wien ist ein Dreivierteltakt, ein “Bim-Bim” oder tibetische Mönchssohlen auf Piaristenpflaster. Wien ist türkische Gastfreundschaft, urösterreichische Melancholie, ein Donauflüstern. Wien ist Singsangtheater, der leise Duft einer Praterbaumblüte und der verzerrte Steffl auf der Haas-Haus-Fassade. Wien ist die Schar japanischer Augen auf den Klimtflächen, und die umfangenden Seufzerwinde, die vom Zentralfriedhof eine Zeitreise in die musikalische Schwarzweißwelt machen. Wien ist Kulisse zerbrechlicher Herzen und starker Zungen, eine ständig begleitende Sehnsucht. Wien ist der Zigarettennebel mit Melangearoma, der in die Nase steigt und nicht mehr fortgehen mag. Wien ist der Augustinruf, der schrammelgeschwängerte, genussvoll gezuzelte Wein. Wien ist die Freude der Erinnerung und der Wiederkehr, die Sehnsucht nach dem Nichts, die Gier nach dem Alles, die Hoffnung der unveränderten Wiederkehr. Wien ist Wien, ist anders, meine leere Kaffeetasse und mein großes Glas Wasser.
Kuriositäten auf 400 Quadratkilometern
Von irgendwoher wehene pianistische Klänge. Sie schweben zwischen dem vergnügten Gezwitscher, Gegurre, Gekrächze über dem melancholischen Himmel durch mein Fenster herein. Appassionata. Fließendes, martialisches, feuriges Furioso. In dieses Geschwelge unrhythmisches Geplapper wie eine Bildstörung. Für einen Moment nicht aufgepasst, herrscht Stille bis auf das Rauschen des Blattwerks in der Brise, das beim Träumen ans Meer erinnert. Der Geruch von Schnitzelfett vermengt sich mit dem Mittagsläuten. Die Spatzenkinder – ein fideles Trio – hüpfen um die Wette und sperren die Schnäbel auf, die von einer behänden Mutter mit so allerlei gestopft werden. Ein Sandler kommt aus dem Gebüsch, wo er sein Gaggerl in ein Saggerl gemacht und nach erledigtem Geschäft auf einen Krückstock gestützt von dannen humpelt. Ein Schauspieler, den man trifft – den man erkennt, aber seinen Namen nicht auf Anhieb weiß. Den man aber trotzdem grüßt – also damit freuig überrascht aus seinen Gedanken holt und danach fleißig googelt und sich sagt: Ah, ja genau der! Auch das ist Wien. Ein tägliches, kunterbuntes von allerlei Kuriositäten und Besonderheiten getragenes Abenteuer auf pulsierenden 400 Quadratkilometern.
Windmühlen
Was nichts kostet, ist nichts wert und diese Rechnung ist verdammt teuer. Denn dem will Abhilfe geschafft werden, indem Bildung zu einem geistigen wie materiellen Luxusgut erhoben wird. Und alles, was Luxus ist in Österreich, das ist suspekt. Den Demonstranten, deren Stimme auf unmusikalische Beethovenohren stößt, bedingungslose Akzeptanz zu unterstellen – allein das ist gegensinnliches kommunikatives Fiasko, denn gerade da, wo Monologe aufeinanderstoßen, kann – die Logik, dieses Luder – nichts Konstruktives wie ein Dialog entstehen. Bildung – aktuell im namhaften Sinne Universitäten – unschmackhaft zu machen, darin liegt schon lange eine unbekömmliche Spezialität der Obrigkeit. Demgegenüber steht ein verunsichertes Jungösterreich, das die Paradoxien wie unüberwindbare Windmühlen in die Höhe schießen und um sie einen Schatten werfen sieht, als läge das, was uns gerade kulturell so einzigartig und qualitativ macht, abgeschottet in einer Palliativstation. Vielleicht wäre eine K.O.-Phase für Bildungsblockierer und desillusionierte Visionäre angebracht, für die falschen Zorros, die gegen die Gerechtigkeit reiten. Hü-Hott, die Windmühlen warten!
Sommer
Die Glut dieser Tage mag nicht nur manchem Polaroid-Touristen in den Kopf gestiegen sein. Hinter freundlich knipsenden asiatischen Besuchern könnte sich der Gedanke einer spiegelverkehrten Variante des Parlaments für Peking, wenn nicht des Steffls für Tokio, verfestig haben. Womöglich gibt es dann auch eine kehrverte Bischofsvariante, was weiß man. Zumindestens haben die Fiaker-Pferde, für gewöhnlich lethargisch erscheinende Zeitgenossen, das Feuer in sich entdeckt und sind durchgegangen – wo auch sonst, no na, denn am Heldenplatz. Da hat es auch die hartgesottenen Kutschbockgesellen fast von ihrem Arbeitsplatz bugsiert, wenn zwei Gäule mit mehr als fünfmal so viel PS die Blitzerampel übersehen und den Schickeria-Schorschi in seinem flirzerroten Sportcabriolet bleich auf die Gegenfahrbahn schauen lassen. Sein ,Jessasna’ erstickte im Auspuffwirbel des Rostlasters, der Kebabfleisch an die Donau bringt. Bevor ihm die Sonnenbrillen beschlagen, macht er seinen angestrebten Einkehrschwung auf der Donauinsel nach seinem vielversprechenden Hüftknicktrick auf dem Gänsehäufel. Wien, der Sommer ist da! Er kam mit gnadenlosen, stetigen Schritten und einem entsprechend hämischen Grinsen.
In Memoriam Cissy Kraner
Ich wünsch mir zum Geburtstag einen Vorderzahn,/ den meinen schlug der Ferdinand mir ein./ Ich weiß bis heute nicht, warum er das getan?/ Aus Liebe kann es nicht gewesen sein… Schon früh war mir das Lied bekannt und ein sympathischer, unvergesslicher Ohrwurm. Und bis heute ist es für mich der unerreichte Inbegriff des subtil amüsanten, raunzigen Wiener Kabaretttons. Für mich untrennbar verbunden mit dem Komponisten Hugo Wiener und der großartigen Schauspielerin, Sängerin, Kabarettistin, auch Leiterin des Simpl, Cissy Kraner, die – mein tiefes und herzliches Beileid – von der Bühne des Lebens abgetreten ist. Wo es hieß: Wieder Kernstück des Abends die rattenfängerische, publikumsbeherrschende Cissy Kraner, wohl die attraktivste Diseuse, die Wien derzeit hat, ein Teil der jüdisch-wienerischen Conferencier-Tradition. Und auch dort, wo sie hingegangen, wird sie es schaffen, die Lieder ihres Hugo Wiener mit gewohnter hintergründiger List für nachfolgende Generationen weiterzutragen, gerade auch für jene, die standhaft die Meinung vertreten, dass der Wiener weder humorvoll noch selbst-ironisch sein kann.
Wiener Ball
Wahrlich begossen sehen die Wiener dieser Tage, wo es wie aus himmlischen Waschzubern gießt, noch einmal so sehr, zumal sie dieser Tage auch in Erfahrung bringen mussten, dass ihnen etwas abhanden gekommen worden ist. Allein schlimm genug ist es, findet man den Sparstrumpf nicht, den man sie bei zwar nicht längeren, aber immerhin regelmäßiger werdenden Omabesuchen über Monate hindurch stricken sah – nämlichen mit bunten Kringeln. In allen Regenbogenfarben. Nein, viel erschütternder, als erführe man von einer kuriosen Erfindung, die das Menschsein ad absurdum zu führen imstande wäre, ist die fatale Erkenntnis, enterbt zu sein. So, wie ich erfuhr, ist der Wiener Ball kein immaterielles UNESCO Weltkulturerbe mehr. Kein Wunder, dass der vormals noch blaue, eisige von gleißendem Sonnenlicht durchflutete Nicht-ganz-Winter-Himmel seine Trauergarderobe auspackt, mit dem frechen Menuett aufhört und dicke Krokodilstränen über ein Erbe ärmere Großstadtösterreicher ergießt. Und, weil man in jedem Übel auch etwas Gutes zu sehen gezwungen ist, sieht man schon sich überall ins Fäustchen lachende Fazoletten in unüberhörbarer Schadenfreufe: Oh’, it’s a Weh!
Der Pudel trägt Prada
Wenn der Frost durch die Häusergassen dringt, dann sitzt er bekanntlich ganz besonders tief und überall frisst er sich hinein wie ein hungriges Nagetier. Schneller als gedacht hat man kein HD mehr und die Kulisse wird farblos wie ein kürzlich prämierter Stummfilm-Schocker, weil – so staunte das Publikum – auch tonlos wie der frühe Tonfilm. Wie ein spitzer Eisenhut ragen die Kirchtürme in den stillen Himmel, wie die Helme alter Wächterriesen, die geduldig habt acht stehen. Ich sehe die altwienerisch aussehnden Damen, die ein besonders gutes Motiv auf den in mattem Altrosa gehaltenen Fin-de-Siècle-Ansichtskarten abgeben würden, bereits wieder ihre Pelze ausführen sowie die eigens liebevoll angelegte Haute Couture ihrer kokett schwanzwedelnden, vierbeinigen Freunde. Als gäbes ihn, den unübertrefflichen Hundelagerfeld, der es schaffen würde, einem glücklich Hechelnden, als tapferes Schneiderlein, in ebenfalls eiskalte Eitelkeitseifersucht zu lenken vor dem Denken: Der Pudel trägt Prada! Dann beginnt einer der Wächter zu läuten und ich mache mich raschestmöglich von der Bildfläche.
Im Morgenrot
G’schamig klettert das Morgenrot über die Dächer und macht ihre Silhouetten klar, als wären sie ein Scherenschnitt vom Löschenkohl. Jenem Hieronymus, der auch vorzeiten den Papa Haydn gemacht hat und dessen Namen man sich für eine Gasse im Fünfzehnten bedient hat. Wie ein leiser, bedächtiger Wanderer schimmert es durch die verschlafenen Innenhöfe, Efeu und Bäume. Durch manche noch stille Gassen immer höher, bis es hinterm Steffl angekommen, wie ein Märchenprinz die Anachronistische sanft aus den Federn küsst. Die ersten Piepmatze kommen heraus und üben sich im Wienerlied-Hallo, während im Untergrund sardineng’schlichtete Bürohengste und Bürostuten ihre Stallungen in Richtung Arbeitsbox verlassen. Welcher Hundling denkt auch wirklich daran, dass heue der Welttag der Massenmedien ist, wie ihn ein Papst vor 45 Jahren aus der Taufe hob. Der Sechste Paul, Gott hab ihn selig, möge mir verzeihen und der Patron der Journalisten, der heilige Franz von Sales, dessen Tag heute mit anbricht, möge mir – nicht nur bei meinen heutigen Abenteuern durch das heute noch jungtägliche Vindobona beistehen.
Neujahr
Im Feuerstrom der Reben sprüht ein himmlisch’ Leben… das ist das Liedchen, das ich auf vielen Lippen höre, ein liebevoller Ohrwurm, der einen durch eine verkaterter und entsprechend ruhige Weltstadt führt. Lediglich das Knirschen zertretener Sektgläser ist unter den eigenen Schuhen zu hören. Von irgendwoher jault ein nicht zu beneidender Stadtvierbeiner seinem obligaten Neujahrstinnitus hinterher. Das ist das High Noon vor dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, die noch ihre Instrumente stimmen, bevor ihr Klang in die ganze Welt hinausgeht – haufenweise Glückshormone wachrufend, die man in sich schon lange nicht mehr vermutet hätte. Das ist Österreich, das ist Wien, das ist Nostalgie, das ist Schunkeln auf Society-Niveau beim familiären Sekt- und Lachsbrötchenfrühstück, beim morgendlichen Bewundern der ganz besonder süßen Neujahrsbabys. Und wenn auch dem einen oder anderen das neue Jahr bereits im Anfang zu Kopfe gestiegen ist – die Majestät wird anerkannt. Es lebe Champagner der Erste. Prosit Neujahr! Und sonst auch noch viel Schwein – wir werden es brauchen
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