Der Mond steht voll und mattbernsteinig über dem hochaufragenden Oktagon der Minoritenkirche. Die winternächtliche G’frier beißt sich, die Herrengasse hinunter, durch die dunklen Handschuhe ganz tief in die Finger.
Um die Kirche tut sich nichts. Außer vereinzelten Schatten keine Seele. Die schwere Tür aus altem, speckigem Holz auf und ein Raum macht sich noch größer als er schon anscheint. Der Duft kühler Feierlichkeit verneigt sich zu einem dünnen Himmel.
“Na, wo ist denn nur das Jesulein?”. Fragende Blicke gleiten über die opulente Krippe und das verwaiste Strohbettchen. “Na wo schon? Es ist doch noch nicht auf der Welt. Du musst schon noch bis Weihnachten warten.” Bedächtiges Schauen und verständnisvolles Kopfneigen sammeln sich über die steilgewachsenen Gewölbe hinauf.
Dass sich in der großen alten Lunge dieses Raumes derart filigrane Poesie entfalten kann, überrascht manche Ohren. Genauwie die Klänge des georgischen Komponisten Gija Kantscheli. “Jetzt kommst du noch einmal dazu, den Meister live zu hören.” Er starb vor wenigen Monaten. Am 2. Oktober 2019. 84jährig in Tiflis.
Hellhörig betritt man das Gebäude. Es erglitzert aus kleinen Kristallen. Selbst der Atem könnte sie zerbrechen. In entsprechender Zartheit und dezent akzentuierter Präzision entlockt Ketevan Sepashvili den Tasten die Töne. Miniaturen für Klavier. Eine tieftrügerische Einfachheit.
Zu aller Welt sprechen. Das möchten Kantschelis Töne. Im Augenblick des Hörens. Er schrieb mitunter wie manche Dichter. Er hat eine ungefähre Idee, wohin. Den Weg schemenhaft im Kopf. Wohin er führt, ändert sich zuweilen mit der Reise. Mit den gewählten Schritten. Mit dem Tun. Beim Niederschreiben.
Das Klavier erzählt ein Gedicht. Es erzählt eine Kerze, auf der ein Wachstropfen wächst und langsam heruntergleitet. Augen schließen sich. Der Atem zieht sich zurück. “Ja, ich höre den Meister.” Und ein Türspalt lässt warme Feierlichkeit herein.
Comments