Der österreichische Tenor Daniel Johannsen im KulturToDate-Interview über “500 Jahre Reformation”, Glauben, Martin Luther und die Bedeutung der Musik zur Reformationszeit. Am 18. Februar 2017, 19:30 Uhr, ist in der Aula der Evangelischen Schule am Karlsplatz in Wien “Newes Thymiaterium oder Rauchfäßlein” (1651) von Andreas Rauch (1592-1656) zu hören. Einem bedeutenden österreichischen Vertreter evangelischer Kirchenmusik. Gemeinsam mit Tenor Gernot Heinrich, Bariton Stefan Zenkl und dem Ensemble dolce risonanza. Eine Veranstaltung der Konzertreihe Musik am 12ten.
Was bedeutet Ihnen “Reformation”, das “Jubiläum”? Wie nehmen Sie es wahr? Daniel Johannsen: “Reformation ist für mich die Übertragung von Jesu Aufforderung zu Umkehr und Neubeginn – Luther nannte es Buße-, die natürlich dem einzelnen Menschen gilt, auf das Kollektiv der Gläubigen, sprich: auf die gesamte Kirche. Insofern ist christlicher Glaube >semper reformanda< , ein stets zu erneuernder. Aber nicht nur im Sinne von >Sind wir eh noch ausreichend modern? Kommen wir dem Zeitgeist genug entgegen?<, sondern viel elementarer: >Jesus, bin ich noch fest bei dir? Bin ich mit deinem Wort und Willen kurzgeschlossen?< Das ist eine tägliche Herausforderung. Wohingegen das mal mehr, mal weniger phantasievoll-pompöse Gedenken an den Wittenberger Thesenanschlag vor 500 Jahren unter dem Stichwort >Reformations-Jubiläum< eine ganz andere Sache ist.”
Welche Erkenntnisse sind, Ihrer Meinung nach, aus der Reformations-Bewegung zu ziehen? Ist es wichtig, sich daran zu erinnern? Daniel Johannsen: “Die Erinnerung daran ist essentiell! Der Mensch kann aufrecht vor Gott stehen, ja, bestehen – in der ganzen Würde, die er als sein Ebenbild von ihm selbst bekam. Er darf sich seinem Schöpfer auch als schuldbeladenes, erlösungsbedürftiges Wesen direkt nähern, ganz ohne Fürsprache der Heiligen – denn heilig sind alle Gläubigen! Gottes Gnade ist ein- für allemal erwirkt: Christi Erlösungstat auf Golgatha gilt allen und gilt für alle Zeiten. Diese Gnade ist not for sale. Und weil sie vielen dermaßen billig erscheint, schlagen sie sie auch aus. Jedoch ist die persönliche Annahme dieses Geschenks das Um und Auf. Das trägt mich als Christ auch über den Horizont des Jüngsten Gerichts hinweg: Ich glaube daran, dass mein Name im Buch des Lebens schwerer wiegt als im Schuldbuch. Und aus Dankbarkeit darüber versuche ich auch nach Kräften, Gottes Willen und Gebot in gute Taten umzusetzen – quasi >Ehrensache<. Denn verdienen könnte ich mir diese Gnade auch mit dem tugendhaftesten Leben nicht – genau das war Luthers theologischer Ausgangspunkt.”
Wie würden Sie die Figur Martin Luther charakterisieren? Worin liegt das Provokative? Daniel Johannsen: “Was für ein zerrissener Mensch! Aber ist es ein Wunder bei jemandem, der sich unbeirrt mit den stärksten Kräften und Autoritäten seiner Zeit anlegte?! Nach solchen Auseinandersetzungen streifst du dir nicht mal eben ein bisschen Staub vom Sakko und machst weiter wie bisher. Zwischen dem unübertrefflich guten Übersetzer und leidenschaftlichen Nachdichter hebräischer Psalmen und dem Verfasser übelster antisemitischer Pamphlete liegen für mich diese 180 Grad Luther, die nicht zu erklären, die weder zu verdammen noch zu entschuldigen sind.”
Welche Rolle hat die Religion in der heutigen Gesellschaft und was bedeutet Ihnen Glaube? Daniel Johannsen: “Der Blick auf eine x-beliebige Terror-Schlagzeile der letzten Zeit bzw. auf die Themen der meisten TV-Diskussionsrunden beantwortet schon ganz viel von dieser Frage. Und was meinen Glauben betrifft: den empfinde ich mitunter ganz schwach, dann wieder euphorisierend groß. Aber er ist ein Lebensmittel für mich.”
Früher – zu Zeiten der Reformation – wusste man, wo evangelische Kirchen waren, da gibt es gute Musik. Heute sind viele der evangelischen Komponisten in Vergessenheit geraten. Musik – so im Gottesdienst – spielte für Martin Luther auch eine zentrale Rolle. Sein Komponist Johann Walter spricht in diesem Zusammenhang sogar von der “löblichen Kunst Musica”. Wie würden Sie die Bedeutung der Musik zur Zeit der Reformation verorten? Daniel Johannsen: “Man kann sie gar nicht überbewerten, die Rolle der reformatorischen Kirchenmusik: Nirgendwo geschieht die Aneignung all dessen, was ich vorher theoretisch ausgeführt habe, besser und schneller als in Form eines Chorals, den der glaubende oder zweifelnde, der fröhliche oder betrübte Mensch anziehen kann wie ein Gewand; oder aber beim teilnahmsvollen Hören einer tiefen geistlichen Musik. Das wussten Luther und seine Zeitgenossen. Allerdings wusste das auch schon der Heilige Augustinus: >Wer singt, betet doppelt.<”
Im Rahmen der Konzertreihe “Musik am 12ten” wird in der Aula der Evangelischen Schule am Karlsplatz “Newes Thymiaterium oder Rauchfäßlein” von Andreas Rauch gegeben. Was ist das Besondere an diesem Werk, an diesem Komponisten? Das Wort ist doch in der Musik der Zeit essentiell? Daniel Johannsen: “So ist es. Andreas Rauch, ein sehr begabter und phantasievoller Komponist des 17. Jahrhunderts, bediente sich ebenso wie seine Zeitgenossen Heinrich Schütz oder Francesco Cavalli aus dem Fundus der Musica poetica – also aus jenem komplexen System von kompositorischen Figuren und Manieren, die die Ausdeutung eines Inhaltes verstärken und einen Text dadurch schon per se interpretieren, wie das ja jegliche Vertonung tut. Seine besondere Art, Koloraturen und Dissonanzen zu schreiben, könnte man fast schon als Personalstil bezeichnen. Das ist richtig gute Musik, die zu richtig gutem Musizieren einlädt.”
Sie betonen die Dankbarkeit für eine christliche Erziehung. Worin wurzelt diese Dankbarkeit? Daniel Johannsen: “Ganz ohne Koketterie gesprochen, wäre ich ohne diese Erziehung wohl gar nicht mehr hier.”
Mit welchen aktuellen Projekten sind Sie beschäftigt? Daniel Johannsen: “Neben meinen quasi ununterbrochenen Bach-Verpflichtungen als Evangelist oder Kantaten-Solist bin ich derzeit mit sehr viel Lied beschäftigt, etwa in einem gemeinsamen Schubert-Projekt mit Graham Johnson im Wiener Konzerthaus. Darüber hinaus stehen heuer noch zwei lutherbezogene Uraufführungen an. Sie dürfen gespannt bleiben!”
Hinweis: Neben Andreas Rauch kommen am 18. Februar auch Werke von Antonio Bertali (1605-1669), Johann Jakob Froberger (1616-1667), Giovanni Felice Sances (1600-1697) und Heinrich Schütz (1585-1672) zum Klingen. Am 4.3. ebenda mit Daniel Johannsen und Gernot Heinrich gelangt u.a. Andreas Rauch: »Missa, Vespera et alii sacri concentus concertati« (1641) zur Aufführung.
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